Jenseit des Tweed |
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Kapitel 10 |
Ein Gang nach
St. Anthony´s Chapel |
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Holyrood-Palace
bildet nach Osten hin den äußersten Punkt der Stadt;
unmittelbar dahinter erheben sich jene unwirtbaren, aber malerischen
Felsmassen, die Salisbury-Craigs. |
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Gemeinhin
pflegen die Besucher Edinburgs die höchste Spitze derselben,
den sogenannten »Arthurs-Sitz«
zu besteigen, um sich von dort aus einer Aussicht zu erfreuen, die
dem Panorama
von Calton-Hill oder von Edinburg-Castle vielleicht um so viel vorzuziehen
ist, als »Arthurs-Sitz« die eben genannten Orte an Höhe
übertrifft. |
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Um
St.
Anthony's Chapel zu erreichen, schlagen wir von der Stadt aus
denselben Weg ein, der uns in einem früheren Kapitel von Waterloo-Place
nach Holyrood-Palace führte. Wir wählen diese Straße
auch heute wieder, weil wir vorhaben, dem unmittelbar vor der Stadt
gelegenen Calton-Hill
endlich unseren Besuch zu machen, nicht um der Aussicht willen,
die er bietet, ... |
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sondern bloß der Sehenswürdigkeiten halber, die diesem
Hügel in direkter Weise angehören. Diese Sehenswürdigkeiten
bestehen in einem halben Dutzend Monumente. Ich habe nicht vor,
dieselben zu beschreiben oder zu kritisieren; sie sind Nachbildungen
nach der Antike und können keinen besonderen Wert, wenigstens
nicht das Verdienst originaler Erfindung beanspruchen; was ihnen
aber in ihrer Gesamtheit eine gewisse Bedeutung gibt, das ist der
Umstand, daß uns aus ihnen der Gedanke einer Ruhmeshalle des
schottischen Volks entgegentritt. Da sehen wir zunächst einen
(leider unvollendet gebliebenen) Tempelbau,
der in Erinnerung an die Schlacht
von Waterloo und die ausgezeichnete Mitwirkung der schottischen
Regimenter errichtet wurde. |
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Da ist ein Monument,
das Dugald
Stewart zu Ehren errichtet ist.
Die Mehrzahl meiner Leser
wird hier die Frage aufwerfen, was es mit Dugald Stewart denn
eigentlich auf sich habe, um sich auf der Höhe von Calton-Hill,
und zwar von Vaterlands wegen, monumental verherrlicht zu sehen.
Genau dieselbe Frage war ich gezwungen, mir selbst zu stellen,
der ich bis dahin doch den eitlen Glauben in mir groß gezogen
hatte, daß jeder monumentberechtigte Schotte mir aus Dichtung
oder Geschichte wenigstens dem Namen nach bekannt sein müsse.
Aber ich sollte während meines Aufenthalts in Schottland
nur allzuoft an das Irrige dieser meiner Vorstellung erinnert
werden.
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Die Sache ist die, daß wir im Auslande nur die romantische
Hälfte Schottlands kennen und wenig oder nichts von der Kehrseite
derselben. Dichtung und Romane lesend, sind wir mit unsern Sympathien
in der Vergangenheit Schottlands stecken geblieben, während
die Schotten selbst nichts Ernstlicheres zu tun hatten, als mit
dieser Vergangenheit zu brechen und völlig neue, völlig
abweichende Berühmtheiten zu etablieren. Sie haben, um einen
Vergleich aus unserer eigenen Geschichte zu nehmen, den Alten
Dessauers die ausschließliche Denkmalsberechtigung längst
genommen und einen gleichen Anspruch, oder einen größeren
noch, auf die Lessings
und Winckelmanns,
auf die Kants
und Beuths
ihres Landes übertragen. |
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Die
Sonne war im Untergehen, als wir die Treppen, die zum Calton-Hill
hinaufführen, wieder hinunterstiegen und nach dem Palaste von
Holyrood einschwenkten. Wir warfen dem alten Bau nur einen flüchtigen
Blick zu und schritten rasch den Felspartien zu, die, sich fast
unmittelbar hinter Holyrood erhebend, eine steile Rückenlehne
desselben bilden. Die Entfernung von Holyrood Chapel bis nach St.
Anthony's Chapel mag kaum 10 Minuten Wegs betragen, das Terrain
aber wird durch Hügelzüge und in den Weg gewälzte
Felsblöcke so oft unterbrochen, daß man Holyrood nach
wenig Minuten schon aus dem Gesicht verliert, um es von der Hügelkuppe
St. Anthonys aus erst wieder zu erblicken. |
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Aus
rohem Feldstein aufgeführt und so formlos geworden, daß
das, was dasteht, ebensogut einem Hof- und Stallgebäude als
einer ehemaligen Kirche angehören könnte, bilden die Trümmer
dieser Kapelle an und für sich nicht den geringsten Gegenstand
des Interesses; ebensowenig sind die Vorgänge, die sich an
diesen Ort knüpfen, dazu angetan, einen Besuch desselben zu
einer Pflicht zu machen. Aber das landschaftliche Bild, dessen man
von ihm aus genießt, ist ganz eigentümlicher Natur, und
wennschon weder groß, noch lieblich, noch grotesk, so ist
es doch im vollsten Maße das, was ich als die schottische
Landschaft par excellence bezeichnen möchte. |
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Als
wir die Kuppe erreicht hatten, auf der sich die Trümmer der
alten Kapelle befinden, hielten wir Umschau. Aus dem Talkessel hervor,
schimmerten die Türme von Holyrood, nur kaum erkennbar noch. |
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