Jenseit des Tweed
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Kapitel 11
Linlithgow
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Schottland hat Schlösser, Hof und Hall´ und Burgen und Paläste, Linlithgow aber schlägt sie all und ist das schönste, beste.

Walter Scotts "Marmion"

 
Einer der reizendsten Punkte in der Umgegend von Edinburg ist Stadt und Schloß Linlithgow. Es liegt an der Eisenbahn, die nach Glasgow führt. Der eigentliche und alte Name des Städtchens war Lithgow; Lin ist Beiwort und bedeutet Little.

Wir verließen Edinburg mit dem ersten Zuge und waren etwa gegen 9 Uhr an Ort und Stelle.

 
Durch zwei Dinge ist Linlithgow berühmt (abgesehen von seinem Palast), durch seine Treue und seine Brunnen. Wem es treu gewesen ist, das ist jetzt schwer zu ermitteln. Seiner Brunnen aber darf es sich rühmen bis auf diesen Tag. Unter diesen ist ein figurenreicher, der dem Rathaus gegenübersteht und an ähnliche Arbeiten in Süddeutschland erinnert, der bemerkenswerteste. Er ist es wohl, der zu der zweiten Zeile in einem alten schottischen Reimspruch Veranlassung gegeben hat, der etwa lautet:

Glasgower Glocken und Falkirker Bohnen,
Lithgower Brunnen, um dran zu wohnen,
Stirlinger Hefen und Perther Bier,
Alle Tausend, so lob' ich's mir.

 
Maria Stuart wurde hier am 5. Dezember 1542 geboren. Als ihr Vater (Jakob V.) auf seinem Todbette die Nachricht von ihrer Geburt empfing, murmelte er: »Mit einem Mädchen kam unser Geschlecht und mit einem Mädchen wird es gehn.« Die düstre Prophezeiung traf nicht völlig ein; die Stuarts regierten noch 150 Jahre, und erst abermals 100 Jahre später erlosch das Geschlecht.
 
Das Innere vom Linlithgow-Palast läßt uns rasch vergessen, was der Außenseite fehlt. Ein tiefes, dunkles Portal durchschreitend, treten wir in den Schloßhof. Nach allen vier Seiten hin erhebt sich das Mauerwerk und umschließt einen Rasenplatz, in dessen Mitte sich abermals ein figurenreicher Brunnen befindet. Der Anblick muß etwas Zauberisches gehabt und an die maurischen Höfe Granadas erinnert haben, als hier das Wasser in monotoner Melodie noch niederplätscherte, wachthabende Hochländer um den Springbrunnen herum gelagert lagen und in ihre Tartan-Plaids gehüllt, die Mütze mit der Reiherfeder auf dem Kopf, die Sommernacht verschliefen und verplauderten.
 
Das Zimmer, in dem Königin Maria das Licht der Welt erblickte, würde von den Räumen, die dasselbe nach rechts und links hin einschließen, in keiner Weise zu unterscheiden sein, wenn nicht Jakob VI., der bei Lebzeiten seiner Mutter so wenig zu ihrer Befreiung tat, nach dem Tode derselben die bequeme Laune gehabt hätte, das Zimmer, drin sie geboren wurde, durch Stiftung eines Prachtfensters kenntlich zu machen. Dies Prachtfenster hat natürlich längst aufgehört, ein solches zu sein, unterscheidet sich aber noch immer durch Sims und Einfassung von der langen Reihe aller übrigen. Innerhalb der vier Wände, die den Raum selbst umschließen, sieht man sich vergebens nach einem Zeichen um, das direkt oder wenigstens symbolisch an die Persönlichkeit erinnerte, die diesem Ort seine Weihe und Bedeutung gegeben hat. Die Wände sind kahl und kalt.
 
Das Zimmer, in dem Maria Stuart geboren wurde, bietet nichts als seinen Namen. Anders verhält es sich mit dem Margareten-Turm, dem Queen Margaret's Tower, der sich in der Nordwestecke desselben Flügels erhebt. Vor diesem stehn wir nunmehr, die Mauern sind ziemlich dick, die hinaufführende, schmale Wendeltreppe hat der Stufen nicht allzuviele, und ohne sonderliche Anstrengung erreichen wir alsbald das oberste, laternenartige Gemach des Turmes, das den Namen Queen Margaret's Bower (Zimmerchen) führt.
 
Die Aussicht von diesem Turm ist entzückend. Nach allen Seiten hin, aber sehr allmählich, hebt sich das Terrain; breite, goldgelbe Haferfelder steigen die Hügel hinauf und verdünnen sich landeinwärts zu immer schmaleren Streifen. Hier und dort Hecken und Baumgruppen, unmittelbar vor uns aber ein kleiner, inselreicher See, der sich rechtwinklig, nach Nord und West hin, um die Fronten des alten Schlosses legt.
 
Es würde sich lohnen den Margareten-Turm zu ersteigen, wenn er auch nichts böte als diese Aussicht. Es knüpfen sich aber auch historische Erinnerungen an denselben. Königin Margarete war die Schwester Heinrichs VIII. von England; Jakob IV. von Schottland war ihr Gemahl. Als dieser, übermütig und verblendet, ein Heer sammelte, um England mit Krieg zu überziehen, beschwor ihn Margarete, von diesem Unheilszuge abzusehen. Umsonst. Der Zug gegen England war beschlossen. An dem Tage, wo Jakob aufbrach, erstieg die Königin den Nordwestturm, der seitdem ihren Namen trägt, und sah von seiner Höhe aus die endlosen Reihen des Heeres gen Süden ziehen. 50000 Mann, vorauf der König und seine Lords. Der Glanz des Aufzuges konnte das Herz Margaretes nicht betören; die Königin wußte, daß sie auszogen auf Nimmerwiederkehr.

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