Jenseit des Tweed
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Kapitel 24
Iona oder Icolmkill
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Iona ist größer als Staffa, aber doch auch nur klein. Die Ufer sind flach und nur in der Mitte der Insel erheben sich ein paar kahle Felsen. Es fehlt diesem Eilande jeder landschaftliche Reiz. Was ihr Bedeutung gibt, das sind ihre geschichtlichen Traditionen, die hier in einem Maße auftreten, das überall Bewunderung erregen würde, doppelt aber an einem Orte, der, weitab von Kultur, nur ein geeigneter Platz für Möwennester zu sein scheint. Und doch war diese Stätte ein halbes Jahrtausend lang unter den heiligen Plätzen des Landes der heiligste. Iona ist der Punkt, von wo aus, in der Mitte des sechsten Jahrhunderts, die Christianisierung des bis dahin heidnischen Schottlands erfolgte.
 
Ums Jahr 560 verließ der Mönch Columban (gälisch: Callum oder Malcolm) mit zwölf Gefährten die irische Küste und segelte in einem offenen Boot nach Schottland hinüber. Er und seine Genossen waren Schüler St. Patricks. Der heilige Eifer des irischen Apostels war auch auf seine Jünger übergegangen. Sie wählten die Insel Iona als Aufenthaltsort, weil sie nah genug der Küste lag, um von ihr aus ihr Missionswerk beginnen zu können, und zu gleicher Zeit die Möglichkeit jener völligen Zurückgezogenheit bot, die den Grund- und Lehrsätzen ihres Meisters entsprach. Sie nannten sich »Culdees«, was nach Meinung der Gälen »zurückgezogene Leute« bedeutet. In Abercrombys und Jamiesons Geschichtswerken heißt es von den Culdees: »Nur das Seelenheil ihrer Mitmenschen lag ihnen am Herzen. Sie wirkten mehr durch Beispiel als durch Wort. Sie halfen überall und beanspruchten nie Lohn; Bevorzugung, Streit und Intrige kannten sie nicht. Demütig, arm, keusch, so lebten sie.« St. Columban starb 595. Erst zwei Jahre später betrat der heilige Augustin, als Apostel Roms, die südenglische Küste, um die heidnischen Angelsachsen seiner Lehre zu unterwerfen, und begann nun das römische Christentum nordwärts zu tragen, während die Nachfolger Columbans ihr griechisches Christentum von Norden nach Süden trugen. Im Lauf der Jahrhunderte erfolgte endlich der Zusammenstoß, in dem die Culdees völlig unterlagen. Diese Niederlage erfolgte aber nicht vor Anfang des dreizehnten Jahrhunderts.
 

Der Steamer wirft Anker, und wir rudern der Insel zu. Am flachen Ufer derselben ziehen sich etwa vierzig armselige Hütten hin, die den gälischen Namen »Baile Mor«, das heißt die große Stadt, führen. Im selben Augenblick, wo wir aus dem Boot springen, sehen wir uns von einer Herde Kinder umringt, die Ionamuscheln und Ionasteinchen anbieten und die nunmehr, solange wir den heiligen Boden der Insel unter unseren Füßen haben, unsere treu-zudringlichen Begleiter bleiben.

 
»Die große Stadt« bietet nichts, aber unmittelbar im Norden derselben nehmen die Sehenswürdigkeiten Ionas ihren Anfang und ziehen sich eine Viertelmeile lang am Ufer hin.

Am linken Flügel, also dem Dorf zunächst, befinden sich die Ruinen eines Nonnenklosters, das frühestens gegen Ende des dreizehnten Jahrhunderts errichtet sein kann, da die Lehre Columbans keine Nonnenklöster gestattete. Die Gebäude selbst sind Feldsteinbauten, ohne Schönheit, nur bemerkenswert durch große Basaltblöcke im Mauerwerk, die keinen Zweifel lassen, daß den Baumeistern jener Epoche das benachbarte Staffa wohlbekannt gewesen ist.

 

Die kirchlichen Gebäude am rechten Flügel sind größer, zum Teil aus späterer Zeit und besser erhalten. Wie sich am linken Flügel ein Nonnenkloster befand, so hier ein Mönchskloster. Von den eigentlichen Klostergebäuden ist wenig mehr vorhanden, die dazugehörige Kirche aber zählt zu den besten Ruinen(*) in Schottland und ist stattlich genug, um den Namen einer Kathedrale, den sie wirklich führte, zu rechtfertigen. Diese Kirche war nämlich nicht nur das kirchliche Gebäude der Abtei, die hier stand, sondern der ganzen bischöflichen Diözese »Iona«, die ohngefähr um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts von der Diözese Sodor (Insel Man) abgezweigt wurde.

(*) Die Abteikirche wurde Anfang des 20. Jahrhunderts wieder aufgebaut.

 
Diese Kathedrale, wie alle Gebäude, die sich hier vorfinden, ist aus gehauenem Feldstein aufgeführt und gehört zu jenen kirchlichen Bauten, an denen sich junge Archäologen und Architekten die Sporen verdienen können. Wessen Kritik und Konstruktionstalent hier nicht fehlgreift, der ist ein Meister. Eine wahre Musterkarte von Baustilen! Rund- und Spitzbogen, dünne und dicke Säulen, schwere und leichte Kapitäle, gotisch, normannisch, byzantinisch, alles durcheinander und hier und dort ein Giebelfeld, das einem als altsächsisch aufgeschwatzt werden soll.
 

Wir wenden uns nun dem Zentrum zu. Die kirchlichen Gebäude am linken und rechten Flügel gehören sämtlich der römisch-katholischen Zeit an, also einer Epoche, wo Iona bereits aufgehört hatte, ein berühmter Wallfahrtsort, eine Art »Heiliges Grab des Westens« zu sein. Im Zentrum stoßen wir auf Überreste jener vorrömisch-katholischen Zeit, auf Kreuze und Grabsteine, die an die Zeit der Culdees und jene besondere Heiligkeit erinnern, die vom siebenten bis zum eilften Jahrhundert diesem Boden eigen war. Es sind drei Dinge, die unsere besondere Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen: eine Kapellruine (St. Oran's Chapel), zwei mit Relieffiguren überdeckte Kreuze und ein großer Kirchhof.

 
St. Oran's Chapel diente wahrscheinlich als Grabkapelle. Sie ist sehr klein (sechzig Fuß lang und sechsundzwanzig breit), aus rotem Granit aufgeführt, mit niedrigen Rundbögen, und aller Wahrscheinlichkeit nach zu Anfang des eilften Jahrhunderts von den Norwegern errichtet.
 
Die beiden Kreuze, die den Namen »Macleanskreuz« und »St. Martinskreuz« führen, sind die beiden einzigen Überbleibsel von den 360 Kreuzen, die bis in die zweite Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts hier standen und auf Befehl einer hyperpuritanischen Synode ins Meer geworfen wurden. Sie sind beide aus Glimmerschiefer gefertigt, sehr graziös in ihren Verhältnissen, und gleichen beide, weil die Schieferplatten nur dünn waren, unsern modernen gußeisernen Grabkreuzen. Das St. Martinskreuz ist vierzehn, das Macleanskreuz nur eilf Fuß hoch.
 
Das Macleanskreuz gilt für älter und soll, bald nach dem Erscheinen Columbans auf der Insel, an der Stelle eines heidnischen Denkmals errichtet worden sein. Wieviel hiervon wahr ist, muß dahingestellt bleiben. Daß diese Kreuze indes sehr alt sind und der früheren Glanzzeit Ionas angehören, scheint mir unzweifelhaft. Diese Kreuze scheinen mehr den Charakter von Votivtafeln als von Grabkreuzen gehabt zu haben, und schon dieser Umstand allein, für den sich in der römisch-katholischen Zeit schwerlich ein Analogon findet, deutet auf eine frühe Vergangenheit.
 

Wir betreten nun die große Sehenswürdigkeit Ionas - seinen Kirchhof. Er führt den Namen »Reilig Ourain« oder St. Orans Begräbnisplatz. Den Mitteilungen des Dechanten Munro nach war dieser Kirchhof viele Jahrhunderte lang der Begräbnisplatz für die schottischen und norwegischen Könige. »Wir erfahren aus unseren Chroniken, daß König Coelus von Norwegen seine Edlen bat, sie möchten ihn auf Icolmkill bestatten, wenn er im Kampf gegen die Südschotten fallen sollte. Das spricht dafür, daß auch den skandinavischen Königen daran lag, auf der heiligen Insel ihren letzten Ruheplatz zu finden.« So schrieb Munro 1594.

Zahlendreher von Fontane: es war 1549

 
Die Grabsteine liegen verwittert da, nirgends eine Inschrift oder Jahreszahl. Ein Beweis also ist nicht mehr zu führen, daß achtundvierzig schottische Könige an dieser Stelle begraben liegen. Man kann die Begräbnisplätze der schottischen Könige mit historischer Sicherheit bis zum Jahre 1073 zurückverfolgen, in welchem Jahre Malcolm Canmore, der Besieger und Nachfolger Macbeths, in der Kathedrale von Dunfermlin beigesetzt wurde. Die Frage entsteht also: Wo wurden die schottischen Könige (die damals alle noch Hochlandskönige waren) vor 1073 beigesetzt? Die Tradition antwortet: auf Icolmkill (Iona). Und sie wird recht haben.
 

Iona war der heilige Boden, es hieß z. B., daß beim Untergang der Welt Iona wie ein gesegnetes Blatt auf der Sündflut schwimmen werde, und es darf nicht überraschen, daß sie dort im Tode ruhen wollten, von wo ihnen das Licht und das Heil gekommen war. Die größte Wahrscheinlichkeit aber hat es für sich, daß, König Duncan und König Macbeth die beiden letzten waren, die hier – der Ermordete und der Mörder – im schwarzen Boot über das Wasser kamen, um in heiliger Erde die letzte Ruhe zu finden.

Schon zu Shakespeares Zeit muß übrigens diese Tradition lebendig gewesen sein, denn es heißt in »Macbeth« :

Rosse: Wo ist der Leichnam Duncans?
Macduff: Fort gen Westen, Nach Icolmkill, dem Beinhaus seiner Ahnen.


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