Jenseit des Tweed |
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Kapitel 26 |
Lochleven-Castle |
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Lochleven-Castle,
mit alleiniger Ausnahme von Holyrood-Palace,
steht obenan unter den schottischen Schlössern, die in die
Geschichte Maria
Stuarts verwebt sind. Im Schlosse von Lochleven saß die
schöne Königin fast ein Jahr lang gefangen, jenes letzte
Jahr auf schottischem Boden, das ihrer unheilvollen Flucht
nach England vorausging.
Was zur
Auflehnung des schottischen
Adels gegen die Königin und schließlich zu ihrer
Gefangensetzung in Lochleven führte, war ihre Verheiratung
mit Bothwell.
An der Spitze der Unzufriedenen stand ihr Halbbruder, der Graf
von Murray. Bei Carberry-Hill
stießen die feindlichen Parteien aufeinander; Bothwell, auf
die Anklage hin, »der Mörder Darnleys«
zu sein, wurde zum Zweikampf gefordert, lehnte aber schimpflich
ab und floh; mit ihm das Heer der Königin. Diese selbst überlieferte
sich den Siegern und wurde als Gefangene nach dem der Douglas-Familie
zugehörigen Schlosse
von Lochleven gebracht. |
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Dies
Schloß von Lochleven zu sehen war seit vielen Jahren mein
Wunsch gewesen, und ich hätte Edinburg nicht verlassen mögen,
ohne zuvor einen Ausflug nach diesem reizenden Punkt gemacht zu
haben. |
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Die Fahrt von Edinburg
bis zum Städtchen Kinroß,
in dessen unmittelbarer Nähe Lochleven gelegen ist, dauert
auch jetzt noch drei bis vier Stunden, wiewohl die Entfernung
in gerader Linie kaum fünf deutsche
Meilen beträgt. Man fährt zunächst von Edinburg
bis Leith
und passiert dann in einem Dampfboot den breiten Meerbusen
des Forth. Wir erreichen North-Queens-Ferry,
von wo uns die Eisenbahn zunächst nach dem alten Dunfermlin
führt.
North
Queensferry mit der Forth
Bridge von 1890
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Dunfermlin
ist eine der ältesten Städte Schottlands und war lange
Zeit vor Edinburg und selbst vor Perth
eine königliche Residenz.
Malcolm
Canmore, der Besieger und Nachfolger
Macbeths,
hatte hier ein Schloß. Von höchstem Interesse ist die
alte Abtei,
leider durch Um- und Neubauten sehr verunstaltet.
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Sie ist das Campo
Santo der schottischen
Könige von Malcolm Canmore (um 1070) bis etwa zur Thronbesteigung
der Stuarts. Die Könige vor 1070 liegen auf der
Insel
Iona begraben; Macbeth beschließt den Zug. 1818 entdeckte
man den Grabstein des Robert
Bruce mit der Jahreszahl 1329. Man öffnete und fand das
Skelett des großen Königs (groß auch körperlich)
in Blei gehüllt; selbst ein Teil seines Grabtuches war noch
vorhanden.
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Nachdem wir ein Mittagbrot
von Lachsforellen
bestellt hatten, die dem Leven-See eigentümlich sind, brachen
wir auf, um dem »Schloß im See« unseren Besuch
zu machen. Der See hat zwei kleine Inseln. Auf der einen
befinden sich die Trümmer eines Klosters,
auf der andern das Schloß. Sie war in alten Zeiten so klein,
daß sie nur den Raum zur Erbauung eines Schlosses hergegeben
hatte, das dann wie aus dem Wasser emporwuchs. So war Lochleven-Castle
zu den Zeiten der Maria
Stuart.
Erst im Jahre 1831 hat
eine Kanalanlage den schönen See um mehr denn vier Fuß
erniedrigt. Dadurch haben Schloß und Eiland ihren früheren
Charakter verloren, und allmählich sich abflachend, zieht
sich jetzt ein breiter bewachsener Gürtel um den alten Mittelpunkt
herum.
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Dieser ehemalige Mittelpunkt
ist durch eine Feldsteinmauer, die ihn einfaßt, noch deutlich
erkennbar; die einzelnen Baulichkeiten aber sind zerfallen, mit
Ausnahme von zwei Türmen, einem runden und einem viereckigen.
An diese beiden Türme knüpft sich jenes Bruchstück
aus dem Leben Maria Stuarts, das die Überschrift trägt:
Schloß
Lochleven. In dem runden Turm, der der kleinere ist und nach
Westen blickt, saß sie gefangen.
[Er
blickt nach (Süd-)Osten!]
Das Deckengewölbe
des ersten wie auch des zweiten und dritten Stockwerkes ist eingestürzt.
Das Zimmer im zweiten Stockwerk diente als Schlafzimmer der Königin;
über demselben, also im dritten und letzten Stockwerk, befand
sich eine Art Wachtlokal, da die mehrfach sich wiederholenden
Fluchtversuche der Königin es nötig machten, beständig
auf der Hut zu sein.
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Die Wölbung über
dem Keller existiert noch, so daß es möglich wird,
in dem darüber gelegenen Hochparterre-Raum einen Besuch zu
machen. Dieser Raum war das Wohn- und Empfangszimmer der Königin;
ich bedaure, seinen Umfang nicht ausgemessen zu haben, doch erschien
es mir kaum größer als der durch seine Kleinheit ausgezeichnete
»supping-room« im Palaste von Holyrood.
Das Zimmer hat zwei Fenster,
ein größeres und ein kleineres, mit deren Hülfe
die Königin beständig allerhand Zeichen zwischen sich
und ihren Anhängern am Westufer des Sees ausgetauscht haben
soll.
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Ich führe meine
Leser nach dem viereckigen Turm, der damals von der Familie
Douglas bewohnt wurde.
An der vom Wasser bespülten Außenwand des Turmes lief
ein Steg hin, an dem das Boot lag, das die Kommunikation zwischen
Schloß und Ufer unterhielt. Dieser Steg war nicht anders
als durch ein Gittertor zu erreichen. Die Schlüssel zu diesem
Gittertor waren in Händen der alten Lady
Douglas.
Diese saß am Abend
des 2.
Mai 1568 an der Familientafel, die Schlüssel auf den
Tisch gelegt. Um den Tisch saßen ihre Kinder und Enkel,
hinter ihrem Stuhl aber stand ein Page, kaum sechzehn Jahre alt,
der ein illegitimer Sohn ihres ältesten Sohnes
William war. Sie nannten ihn Willy.
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Als es dunkel war, rötete
ein Feuerschein den Himmel. Er trat ans Fenster, wohl wissend,
daß er dem Feuerschein begegnen würde, und rief: »Feuer
in Kinroß!« Die alte Lady erhob sich und sah hinaus;
alle anderen folgten. Diesen Augenblick benützte Willy, warf
ein Tuch über die Schlüssel, um sie geräuschloser
aufheben zu können, und verschwand. Als er hinaustrat, schritt
vom runden Turm her die Gestalt Mary
Seatons über den Schloßhof. Die Wache hatte sich
täuschen lassen – es war die Königin. Im Nu war
das Gittertor geöffnet und von außen wieder geschlossen;
den Steg entlangeilend, sprangen beide ins Boot, und wurden unter
lautem Jubel von den Reitern Lord
Seatons empfangen.
Die Tage von Lochleven
waren die letzten Tage Marys auf schottischem Boden. Am 2. Mai
floh sie über den See, am 15. entschied sich ihr Schicksal
an jenem Unglückstage
von Langside. Willy Douglas bezahlte seine Liebe mit seinem
Leben, die Königin aber floh und betrat in Carlisle
den Boden Englands.
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